Gängige Missverständnisse über Diskriminierung, Toleranz und die Gefahr der Diskursverschiebung / Erklärung des Würzburger Ombudsrats zur Main-Post-Berichterstattung vom 11.07.24 „CSU-Mitglieder berichten von Übergriffen beim Christopher Street Day“ sowie „Toleranz ist keine Einbahnstraße“
Als Mitglieder der unabhängigen Antidiskriminierungsstelle in Würzburg halten wir es für problematisch, dass in den Beiträgen der Main-Post, aber auch in den darin zitierten Äußerungen von CSU-Vertreter*innen der Eindruck erweckt wird, die CSU sei durch queere Teilnehmende am CSD diskriminiert worden. So beklagt der CSU-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, Klaus Holetschek, in dem Beitrag, die „wiederholte Intoleranz derjenigen, die ständig Toleranz einfordern“ sei „erschreckend“. Mit großer Sorge nehmen wir eine Instrumentalisierung des Diskriminierungsbegriffs wahr und wollen vor solchen Kommunikationsmustern eindeutig und entschieden warnen. Wir weisen auf zwei Punkte in diesem Zusammenhang hin:
Erstens: Diskriminierung richtig benennen
Diskriminierung kann rechtlich, sozial oder gesellschaftlich definiert und besprochen werden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) regelt umfassend, was unter Diskriminierung zu verstehen ist. Dass Mitglieder einer Partei, die in Regierungsverantwortung ist, sich selber als Opfer von Intoleranz und diskriminierendem Verhalten ansehen, verkehrt die Verhältnisse und verschiebt den Diskriminierungsbegriff in einer Weise, die von Diskriminierung betroffene Personen selbst als Täterinnen erscheinen lässt.
Egal ob wir auf Diskriminierung aus rechtlicher, sozialer oder gesellschaftlicher Perspektive blicken, keine wird die Ablehnung der CSU im Kontext von queeren Lebensrealitäten als Diskriminierung qualifizieren.
Wesentliche Orientierungspunkte bei der Diskriminierungsprüfung sind: gesellschaftliche Machtgefälle, Vulnerabilität oder geschützte Merkmale. Neben einem rechtlichen Verständnis ist ein ganzheitliches Diskriminierungsverständnis wichtig, wie es auch die Arbeitsgrundlage (Satzung Würzburger Ombudsrat) bildet. Dabei ist stets zu berücksichtigen, welche Menschen in der Gesellschaft Diskriminierung erleben und strukturell marginalisiert werden. Kurz formuliert: Nur weil ich mich beleidigt fühle, mein Machtanspruch oder meine übliche Präsenz in Frage gestellt sind, werde ich noch lange nicht strukturell diskriminiert.
Zweitens: CSD ist politischer Protest
Die Auflehnung gegen staatliches Handeln, das queere Menschen gesellschaftlich ausgrenzt, ist seit ihren historischen Anfängen wesentlicher Bestandteil der CSD-Bewegung. Der CSD ist deshalb vor allem ein politischer Protest und nicht nur buntes Fest von Vielfalt und Toleranz. Politische Parteien, die dort in Erscheinung treten, müssen deshalb damit rechnen, dass sie sich dort nicht einfach präsentieren können, sondern wegen ihrer Positionen auch auf Widerstand stoßen. Es handelt sich dabei aus diskriminierungskritischer Perspektive nicht um den Ausdruck von Intoleranz oder gar um diskriminierendes Verhalten, sondern um eine politische Meinungsäußerung.
Sich in einem solchen Kontext und vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Realitäten als Opfer und dann auch noch als Diskriminierungsopfer darstellen zu wollen, muss kritisch hinterfragt werden. Mitglieder von queeren Communities haben in der Bundesrepublik jahrzehntelang, und teilweise heute noch, strukturelle, rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung und Ausschlüsse sowie Gewalt erlebt – die queerfeindlichen Gewalttaten steigen bis heute kontinuierlich an. Im Wesentlichen wird es darauf ankommen, dass Mitglieder aller Parteien jenseits des CSD im Alltag durch ihr konkretes politisches Handeln das Vertrauen der von Diskriminierung betroffenen Menschen gewinnen.
In Richtung der queeren Community in Würzburg und Bayern möchten wir schließlich deutlich machen, dass wir großen Respekt vor ihrem Engagement haben und es aus diskriminierungskritischer Perspektive wichtig finden, dass Repräsentant*innen von Parteien auf Basis ihres öffentlichen Handelns und Sprechens und nach ihren politischen Taten bewertet werden. Dazu gehört auch, sie bei Bedarf an ihre Verantwortung zu erinnern. Das ist ein Beitrag zu unserer Demokratie, für den wir als Würzburger Ombudsrat dankbar sind und der von Parteien gewürdigt werden sollte.
Kontakt: ombudsrat@stadt.wuerzburg.de
Der Würzburger Ombudsrat ist eine Anlaufstelle für Würzburger Bürger*innen, die sich durch Handeln, Duldung oder Unterlassung jeglicher Art, sei es durch juristische wie natürliche Privatpersonen, bzw. durch Träger der öffentlichen Gewalt oder durch Vereinigungen, die sich ganz oder überwiegend in der öffentlichen Hand befinden, in ihrer Menschenwürde diskriminiert fühlen. Der Würzburger Ombudsrat nimmt die ihm zugetragenen Fälle auf, dokumentiert sie und versucht, durch Beratung, Gespräch und Vermittlung von Hilfeangeboten Lösungen für die Betroffenen zu finden. Die fünf Mitglieder des Ombudsrates werden vom Würzburger Bündnis für Zivilcourage aus dessen Reihen vorgeschlagen und vom Stadtrat für die Dauer einer Legislaturperiode eingesetzt. Die Arbeitsgrundlage des Ombudsrates bildet eine vom Würzburger Stadtrat beschlossene Satzung vom 23. September 2010.
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